Margarete Schramböck scheint ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Wiener Unternehmen Themis zu haben. Hat sich die Wirtschaftsministerin zu Beginn vergangener Woche noch geradezu euphorisch darüber geäußert, dass Themis vom US-Pharmariesen Merck aufgekauft wurde -"mit dem Investment wird die Life-Science-Branche in Österreich noch weiter gestärkt" -, so hörte sich das nur zwei Tage später ganz anders an: Dies sei, so Schramböck, "genau so ein Fall, wo eine wirksame Kontrolle notwendig gewesen" wäre. Denn ausländische Investoren seien in der Krise auf "Shoppingtour" auch in Österreich und wollten "Schnäppchen zum Billigpreis" machen.
AUSTRO-EINHORN. Erich Tauber, Geschäftsführer und Gründer von Themis, ist ob dieser Aussagen verwirrt. "Natürlich hat es im Vorfeld des Deals Gespräche auch auf politischer Ebene gegeben. Außerdem wäre es ein katastrophales Signal an Investoren, wenn diese Investitionskontrolle so beschlossen würde." Und Schnäppchenpreis? Seit der Gründung vor rund zehn Jahren sind 150 Millionen Euro in das Life-Science-Unternehmen geflossen, nun soll Merck über seine europäische Tochtergesellschaft MSD angeblich bis zu eine Milliarde US-Dollar dafür locker machen. Der genaue Kaufpreis ist davon abhängig, wie erfolgreich man in der weiteren Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus ist. Zwar will sich niemand der Beteiligten zu konkreten Zahlen äußern, aber der Jubel vom Gründerfonds aws, der mit 3,7 Prozent an Themis beteiligt war, spricht Bände: "Sowohl die Summe als auch die Rendite stellen einen besonderen Erfolg dar, die Größenordnung ist selbst für internationale Transaktionen nicht alltäglich", sagt Ralf Kunzmann, Geschäftsführer von aws. Und er verrät: Themis sei kürzlich als österreichisches "Soonicorn", (Soonto-be Unicorn) bezeichnet worden. Auf gut Deutsch: ein Unternehmen, das in Kürze den Wert von einer Milliarde Dollar erreichen werde. Dementiert wird diese Größenordnung weder von Tauber, der zuletzt selbst knapp vier Prozent an Themis besessen hat, noch von den anderen rund 30 Investoren, darunter auch ein von der Bill &Melinda Gates Foundation gestützter Fonds.
CORONA-SCHWENK. Was aber ist einem riesigen Pharma-Konzern wie Merck bis zu eine Milliarde Dollar wert? Themis entwickelt Impfstoffe und Krebstherapien mithilfe einer Technologieplattform. Galt der ursprüngliche Forschungsschwerpunkt von Themis einer Impfung gegen das Zika-Virus oder das Chikungunya-Fieber, so standen ab Ende Februar Antikörper gegen Covid im Vordergrund der Tätigkeit. Als eine von rund zehn Firmen weltweit soll Themis mit diesem Impfstoffkandidaten in den nächsten Monaten bereits in die klinische Phase eintreten. "Es gibt keine Garantie, dass wir diesen Impfstoff jemals auf den Markt bringen können, weil biologische Systeme eben sehr komplex sind. Aber die Wahrscheinlichkeit ist bei Covid jedenfalls ungleich größer als bei Malaria", glaubt Tauber, der vor Themis bei Intercell ebenfalls an der Entwicklung von Impfstoffen beteiligt war. Die Erfahrung des Managements sei auch wesentlich dafür gewesen, so Walter Stockinger, Managing Partner von Investor Hadean Ventures, dass Themis zu einer solchen Erfolgsgeschichte wurde: "Tauber ist ein guter Vaccine Developer. Er weiß, wie es geht."
Für das Wiener Life-Science-Unternehmen mit 38 Mitarbeitern hat sich die Welt nach Corona jedenfalls schlagartig verändert. "Vor Corona mussten wir die Investoren abklappern und erst ihr Interesse an uns wecken. Nach dem Ausbruch war es umgekehrt", erzählt der Firmengründer. Das globale Wettrennen um einen Impfstoff gegen Covid-19 hat auch Themis voll erfasst. Merck, das bereits im Herbst 2019 als bescheidener Investor an Bord gekommen ist, sei deswegen auch nur eine von vielen Option für das Unternehmen gewesen. Neben anderen Kaufinteressenten war vor allem der Plan, das Unternehmen an die US-Technologiebörse Nasdaq zu bringen, schon sehr weit gediehen gewesen, berichtet Tauber.
"Merck ist als eines der wenigen Unternehmen auf der Welt imstande, den Impfstoff in ausreichender Menge herzustellen. Wir sprechen ja hier nicht von 10.000 Impfdosen, sondern von Hunderten Millionen", erläutert der Themis- Chef das Hauptmotiv, warum man sich schließlich für Merck als Partner entschieden hat. "Mit Merck können wir ganz vorne dabei sein bei der globalen Versorgung", ist er überzeugt. Und genau das sei das Ziel. Denn anders als der französische Pharmakonzern Sanofi, der ursprünglich den US-Amerikanern den Corona-Impfstoff vorrangig zusicherte, habe sich Merck stets für eine ausgewogene Versorgung eingesetzt. Merck-Chef Ken Frazier hat sich mehrmals öffentlich dafür eingesetzt, nationalistische Zugänge abzulehnen und einen Impfstoff für die ganze Welt zur Verfügung stellen zu wollen.
In den Vertragsverhandlungen rund um den Themis-Kauf sollen sich speziell die französischen Investoren und das Institut Pasteur, Technologiepartner von Themis, für diese solidarische Sichtweise eingesetzt haben. "Aus ethischer Perspektive ist Merck wohl auch einer der besten Partner", ist Tauber überzeugt.
Bei der Geschwindigkeit, mit der ein Corona-Impfstoff aus der Merck-Themis- Fabrik bereit stehen könnte, hat Merck zuletzt gebremst. Ein Zeitrahmen von zwölf bis 18 Monaten erscheine ihm sehr ambitioniert, meinte Frazier kürzlich gegenüber der "Financial Times"."Es wird wesentlich davon abhängen, wie sich das Virus weiter entwickelt", glaubt Tauber. Je größer der Leidensdruck, desto schneller könnte es gehen, denn desto entgegenkommender zeigen sich auch die Behörden bei den notwendigen Bewilligungen. Und je mehr Absatz die Pharmaunternehmen erwarten, desto eher sind sie bereit, andere Projekte hintanzustellen.
Auch wenn bei Themis nun also Amerikaner das Sagen haben, der Standort Wien soll weiterhin eine entscheidende Rolle spielen, versichert der Themis- Gründer. "Merck weiß natürlich auch, dass niemand die Technologie besser versteht als wir. Also war es ihnen wichtig, dass wir alle dabeibleiben", sagt Tauber.
Auch der Firmenname "Themis" soll erhalten bleiben und quasi als Anhängsel an Merck weiter die bisherigen Projekte weiterbetreuen. "Österreich kann damit als internationaler Hotspot im Biotech- Bereich gestärkt werden. Der Erfolg wird auch andere Unternehmen anziehen und damit hochwertige Arbeitsplätze in einem Biotech-Cluster schaffen", ist Kunzmann von aws überzeugt. So gesehen kann vielleicht auch die Wirtschaftsministerin dem Deal mehr Positives als Negatives abgewinnen.
PDF Artikel Trend Magazin: Merck und die Milliarden-Dollar-Spritze